Gabriele Kob schreibt

Gabriele Kob schreibt

Durchschnittsmenschen wie ich

Eigentlich dachte ich immer, ich sei etwas ganz besonderes. Wie ich darauf kam habe ich vergessen. Inzwischen musste ich allerdings feststellen, dass alle so denken. Jeder hält sich für einzigartig – mit Recht – und auf diese Weise sind wir doch alle wieder Durchschnitt. Mein Mann findet es beruhigend durchschnittlich zu sein. Er ist Linkshänder, rothaarig, Waldorfschüler und seine Eltern waren im Widerstand gegen Adolf. Er kann also gar nicht mitreden. Als ich ihn das erste Mal sah, dachte ich, er sei Engländer oder Ire. Nicht nur wegen der roten Haare, sondern auch wegen seines lässigen Understatements, das auf mich irgendwie britisch wirkte und ihn wohltuend von denen unterschied, die sich ständig gegen die eigene Brust trommeln mussten. Er sah eben mit der Souveränität desjenigen, der zur Ausnahmeerscheinung geboren war, auf den Rest der Welt. Bevor er überhaupt ein Wort an mich gerichtet hatte, und das sollte länger dauern als ich mir zu jenem Zeitpunkt vorstellen mochte, hatte meine Intuition mich bereits auf diesen Mann festgelegt. Abgesehen von den romantischen Erklärungen, die sicher ihre Berechtigung haben, glaube ich, dass mein Unbewusstes mich aus kompensatorischen Gründen in seine Arme gesteuert hat. Als Ausgleich sozusagen.

Denn bei mir ist doch alles ganz anders. Ich bin Rechtshänderin wie alle, aschblond wie die Meisten, ich fiel in der Schule vor allem durch Schwatzen, weniger durch Leistung auf wie Viele, und meine Großeltern waren Nazis wie damals fast alle. Meine Freundinnen haben wie ich vom Schrecken der Bombennächte traumatisierte Mütter, die bis heute die Zähne zusammen beißen, um ihre Wut und Panik und sicher noch viel mehr zurückzuhalten. Ein deutsches Jungmädel friert nicht. Angst und Gefühle überhaupt sind für sie tief drinnen bis heute eine Schwäche, und wer mag denn Schwäche zeigen, der in einer so bedrohlichen Welt Kind gewesen ist? Wir verstehen unsere Mütter. Heute, nach Jahren von Selbsterfahrungsgruppen, spirituellem Suchen und Yogi Tees. Trotzdem wäre es schöner gewesen, hätten sie ihre Angst zugeben können, denn dann hätten wir sie nicht stellvertretend übernehmen müssen. Ganz automatisch, still und unbemerkt wurde sie uns unter dem Küchentisch rüber geschoben. Und über dem Tisch hieß es, iss auf und sei froh, dass du was auf dem Teller hast. Das war Anfang der 50iger.

Die Angst vor dem Krieg, den ich selber nie erlebt hatte, begleitete meine Kindheit. Sie legte sich auf dunkle Kellertreppen, umgab das Elternhaus, wenn ich allein war und ließ es in meinen Träumen in grellen Farben explodieren. Sprechen konnte ich darüber nicht, schließlich wollte ich weder ausgelacht noch für verrückt erklärt werden. Das ist doch alles Hysterie. Mit diesen Worten wischte mein Vater Gefühle vom Tisch, die ihm irgendwie unangenehm waren. So, als wüsste ich doch in Wirklichkeit auch, dass meine Ängste nur eingebildet und völlig überdreht seien. Und ich wollte ihm doch unbedingt gefallen. Mein Vater war der Fixstern meiner kindlichen Gefühlswelt.

Er hatte Schwimmerstatur, konnte Schmetterlingsstil sogar in der Nordsee gegen Brandung, und war Flüchtling aus dem Osten. Bevor er als letzter Jahrgang mit 16 Jahren eingezogen wurde, hatte er die wesentlichen Werke von Nietzsche, Schopenhauer und Kleist bereits gelesen, der Legende nach auch verstanden und die SS Tätowierung unter dem Arm. Bei seinem Bemühen, das Erlebte dann zu vergessen oder doch wenigstens zu vernebeln, haben die Philosophen offensichtlich versagt, hilfreich waren schon eher Alkohol, Zigaretten und Frauen. Alles immer in großen Mengen, denn mein Vater war ein Mensch großer Gefühle. Und wie es nun mal so ist mit den Rauschmitteln, musste er die Dosierung im Laufe seines Lebens immer mehr steigern, um die erwünschte Wirkung zu erzielen. Immerhin ist er trotz 80 Zigaretten täglich, einer salonfähigen, gut eingependelten Alkoholabhängigkeit und seines überaus anstrengenden Liebeslebens – parallel zur Ehe mit meiner Mutter, versteht sich – doch 58 Jahre alt geworden. Mein Vater ist an den Spätfolgen des zweiten Weltkrieges gestorben, der zu einem ungünstigen Zeitpunkt auf das junge Leben eines sensiblen Mannes traf. Aber man muss sicher nicht besonders sensibel sein, um von den Schrecken des Krieges krank zu werden. Insofern auch hier wieder alles ziemlich normal für seine Zeit.

Natürlich habe ich, bevor ich meinen Ausnahmemann traf, versucht, mich ganz entschieden gegen die bürgerliche Familie zu stellen. Überhaupt, das Bürgertum. Die Doppelmoral. Wer auf sich hielt, wandte sich davon ab. Es musste doch Alternativen geben zur Angst und dem Zähne zusammen beißen. Natürlich gab es die! Ich musste mich nur einmal losreißen von den Erwartungen der Familie, insbesondere des Vaters und dann, nach einer kurzen, großen Unsicherheit, leuchtete ich, wenn auch ziemlich orientierungslos, neue Bezirke aus. Ich pilgerte durch die WGs des Univiertels, lernte, dass Rülpsen okay ist, das Klo keinen Schlüssel brauchte, der dialektische Materialismus schwer zu verstehen aber ein absolutes Muss ist, man auch mal Oben Ohne die Wohnungstür öffnen kann, wenn gerade kein Pulli zur Hand ist. Meine Güte, was für ein Aufatmen! Das Anarchische lag mir.

Auf die politischen WGs folgten die psychologischen, die waren anstrengend. Ich wurde aufgefordert, meine großbürgerlichen Gewohnheiten wie gelegentliches Shoppen aufzugeben. Es hieß, ich kompensiere damit irgendetwas anderes Schmerzliches. Ich fühlte mich schuldig. Aber ich bin gerne schick. Schwierig fand ich auch den Anspruch nur und immer authentisch sein zu müssen. Die meisten Psychologie-Studentinnen hatten Soziologie im Nebenfach und meinen Vater als Prüfer gewählt. Immer öfter war ich mit kichernden Blondinen meines Alters konfrontiert, sobald sie meinen Nachnamen hörten. Wäre ich in diesen Momenten authentisch geblieben, hätte sich die ganze Wut über diesen fortwährenden, peinlichen Betrug an meiner Mutter, die zu Hause saß und die Zähne zusammen biss, über diese albernen Mädchen entladen. So aber bin ich einfach nur gegangen, bevor sie ihre Affäre mit meinem Vater dem Freund zuende ins Ohr getuschelt hatten. Ich habe mich geschüttelt und mit den fünf Psychologen meiner WG nie darüber gesprochen.

Auf die psychologischen folgten dann die spirituellen WGs. Das war in mehr als einer Hinsicht ein Quantensprung. Hier ging es ums Ganze. Ich nahm einen neuen Namen an, kleidete mich in Orange, ließ meinen ersten beruflichen Erfolg, der auf eine Karriere hoffen ließ, sausen, und verschmolz im fernen Indien mit dem Rest der Menschheit. Glückseligkeit. Heim kommen. Für eine Zeit. Die orangene Familie aber erwies sich als bindungsunfähig, sie war ihrem Wesen nach nicht dazu geschaffen Verbindlichkeit einzugehen.

Ich war am Ende angekommen. Familien-alternativlos.

Und dann begegnete ich, am Rande dieses orangenen Ashrams, dem Linkshänder mit roten Haaren, dem Zähne zusammen beißen fremd ist, der mit einer Abscheu vor Uniformiertheit und preußischen Werten aufgewachsen ist. Inzwischen leben wir dreißig Jahre zusammen, haben zwei Töchter und probieren Familie so gut wie es eben gehen kann.

Dies ist der autobiografische Rahmen, aus dem sich Geschichten entwickelt haben. Nicht alle sind mir passiert, nicht alle sind überhaupt passiert, aber sie hätten sich so abspielen können unter Durchschnittsmenschen wie mir.

www.gabrielekob.de

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